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Verwirkung des Widerrufsrechts bei Verbraucherdarlehensverträgen

17.01.2017
von Maren Waruschewski
Bank- Kapitalmarktrecht

Wenn ein Verbraucherdarlehensvertrag widerrufen worden ist, um eine bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurück zu erhalten, wenden die Banken oftmals ein, der Verbraucher habe sein Recht zum Widerruf verwirkt. Spätestens nach Abschluss eines Aufhebungsvertrages bzw. der vorzeitigen Ablösung des Darlehensvertrages könne der Verbraucher sich nicht mehr von dem ursprünglich abgeschlossenen Darlehensvertrag durch Widerruf lösen. 

Die „Verwirkung“ findet ihre Rechtsgrundlage in § 242 BGB, dem Grundsatz von Treu und Glauben. Danach ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dementsprechend ist es jemandem verwehrt, ein Recht auszuüben, wenn die Ausübung beispielsweise illoyal verspätet ist. Voraussetzungen hierfür sind die Erfüllung eines Zeit- und eines Umstandsmoments. Zu der Frage, ob ein Verbraucher ein eigentlich zeitlich unbefristetes Recht zum Widerruf eines Vertrages illoyal verspätet ausübt, also dieses Recht verwirkt hat, hat sich der BGH in einem Urteil vom 11.10.2016 unter dem Aktenzeichen XI ZR 482/15 geäußert. 

Zunächst ging es um die Frage des Zeitmoments. Die für das Zeitmoment maßgebende Frist beginnt mit Entstehen der Rechtsposition. Eine gesetzlich festgelegte Zeitspanne, an der sich das Zeitmoment bemisst, gibt es nicht. Aber die Beurteilung dieser Frage orientiert sich an den Verjährungsfristen, die in der Regel drei Jahre beträgt. Widerruft ein Verbraucher seine auf Abschluss eines Darlehensvertrages gerichtete Willenserklärung mit dem Ziel, eine von ihm gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurückverlangen zu können, stellt sich die Frage, auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist, also wann die Rechtsposition entstanden ist. Durchaus denkbar wäre es, auf den Zeitpunkt der Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung abzustellen. Dann wäre in vielen Fällen die Zeitspanne zwischen Entstehen der Rechtsposition und dem Widerruf nicht so lang, dass die Erfüllung des Zeitmoments, mithin der Ablauf einer längeren Zeitspanne, erfüllt wäre. Aber der BGH hat in seiner Entscheidung jetzt ausdrücklich entschieden, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage des Zeitmoments das Zustandekommen des Verbrauchervertrages sei, nicht etwa der Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages. Damit dürfte oftmals das Zeitmoment erfüllt sein.

Aber weitere Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung ist das Vorliegen eines Umstandsmoments. Ein Recht ist nur dann wegen Zeitablaufs verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem oben genannten Zeitablauf müssen dementsprechend besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Im Falle von Verbraucherdarlehensverträgen muss also die Bank darauf vertrauen und auch darauf vertrauen dürfen, der Verbraucher werde von seinem Recht zum Widerruf keinen Gebrauch mehr machen. Die Bank muss sich darauf eingerichtet haben. In einigen gerichtlichen Urteilen, die den Anspruch des Verbrauchers auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung als unbegründet zurückweisen, vermuten die Gerichte diesen Umstand mit dem Hinweis auf die allgemeine Lebenserfahrung. Das, so der BGH, genügt für die Annahme der Verwirkung nicht. Das Vorliegen des Umstandsmomentes darf nicht durch einen Rückgriff auf Vermutungen festgestellt werden. Die Verwirkung richte sich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls. Dabei sei klar, dass der von einer Vertragspartei an die andere herangetragene Wunsch nach einer vorzeitigen Abwicklung des Darlehensvertrages gegen Zahlung eines angemessenen Aufhebungsentgelts nicht eine Beseitigung der vertraglichen Bindung darstelle. Es handele sich vielmehr um eine vorzeitige Erbringung der geschuldeten Leistung. Der Darlehensgeber solle durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung des Aufhebungsentgelts im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die angestrebte Änderung dieses Darlehensvertrages erschöpfe sich somit letztlich in der Beseitigung der vertraglichen zeitlich begrenzten Erfüllungssperre. Es handele sich damit im Ergebnis nur um eine Vorverlegung des Erfüllungszeitpunkts. Der Vertrag gilt also als bis zum Ende der ursprünglich vereinbarten Laufzeit von dem Verbraucher erfüllt. Das ist eine vertragsgemäße Erfüllung. Allein aufgrund eines vertragstreuen Verhaltens des Verbrauchers kann der Unternehmer aber gerade nicht darauf vertrauen, das Widerrufsrecht werde nicht mehr ausgeübt (BGH, Urteil vom 12.07.2016, Az. XI ZR 564/15).

Das bedeutet in seiner Konsequenz, dass Verwirkung des Rechts zum Widerruf nicht allein wegen Abschluss eines Aufhebungsvertrages oder aber der Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung zur vorzeitigen Ablösung angenommen werden kann. Es müssen weitere Umstände hinzutreten. Darlegungs- und beweisbelastet hierfür ist die Bank als diejenige, die sich darauf beruft, nicht der Verbraucher. 


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