Verlängerung befristeter Arbeitsverträge
Das Unionsrecht (Richtlinien 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999, ABl. L 175, S. 43), welches eine Rahmenvereinbarung der Europäischen Sozialpartner über befristete Arbeitsverträge durchführt, betrachtet unbefristete Arbeitsverträge als die übliche Form der Beschäftigungsverhältnisse. Die Mitgliedsstaaten sind daher verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um Missbräuche durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge zu vermeiden. Zu diesen Maßnahmen gehört insbesondere die Festlegung "sachlicher Gründe", die die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen können. Nach deutschem Recht stellt die vorübergehende Vertretung eines Arbeitnehmers einen solchen sachlichen Grund dar, und zwar u.a. im Fall einer Vertretung von Mutterschaftsurlaub oder Elternzeit.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat unter dem 26.01.2012 ein Urteil in der Rechtssache Bianca Kücük C-586/10 verkündet. Frau Kücük war über einen Zeitraum von 11 Jahren auf der Grundlage von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen beim Land Nordrhein-Westfalen als Justizangestellte im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Alle diese Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justizangestellter geschlossen, die sich vorübergehend (beispielsweise im Rahmen der Elternzeit) hatten beurlauben lassen. Vor dem Arbeitsgericht Köln hat Frau Kücük geltend gemacht, ihr letzter Arbeitsvertrag müsse als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten, da kein sachlicher Grund vorliege, der seine Befristung rechtfertige.
Bei insgesamt 13 in einem Zeitraum von 11 Jahren unmittelbar aneinander anschließenden befristeten Arbeitsverträgen könne nicht mehr von einem vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften ausgegangen werden. Das Bundesarbeitsgericht hat diesen Rechtsstreit dem Gerichtshof mit der Frage der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des Unionsrechtes vorgelegt. In der genannten Entscheidung hat der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt, dass der vorübergehende Bedarf an Vertretungskräften - wie im deutschen Recht vorgesehen - grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne des Unionsrechts darstellen kann, der sowohl die Befristung der mit den Vertretungskräften geschlossenen Verträge als auch deren Verlängerung rechtfertigt.
Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholte oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein solcher sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Automatisch den Abschluss unbefristeter Verträge zu verlangen, wenn die Größe des betroffenen Unternehmens oder betroffenen Einrichtung und die Zusammensetzung des Personals darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber mit einem wiederholten oder ständigen Bedarf an Vertretungskräften konfrontiert ist, ginge über die Ziele hinaus, die mit der durch das Unionsrecht umgesetzten Rahmenvereinbarung der Europäischen Sozialpartner verfolgt werden.
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages im Einzelfall durch einen sachlichen Grund wie den vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften gerechtfertigt ist, müssen die nationalen Behörden jedoch alle Umstände dieses Einzelfalles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen Verträge berücksichtigen.