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Haftung für fehlerhafte Herzschrittmacher.

21.08.2015
von Dr. Christoph Schlüter
Medizin- Arzthaftungsrecht

Erhebliche Ausdehnung der Produkthaftung durch den EuGH

Nach einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 05.03.2015 (C-503/13 und C-504/13) muss der Hersteller eines fehlerhaften Herzschrittmachers die Kosten für den notwendigen Austausch übernehmen und zwar auch dann, wenn nur der Verdacht eines Fehlers besteht. Bisher musste der Betroffene u.a. den Produktfehler nachweisen. Dieses Urteil stellt eine erhebliche Ausdehnung der Produkthaftung dar.

Um was ging es?
Ein amerikanisches Unternehmen vertrieb auch in Deutschland Herzschrittmacher und implantierbare cardioverte Defibrillatoren. Vor mehreren Jahren informierte dieses Unternehmen behandelnde Ärzte darüber, dass man im Rahmen der Qualitätskontrolle festgestellt habe, dass ein verwendetes Bauteil möglicherweise einem sukzessiven Verfall unterliege. Dieser könne zur vorzeitigen Batterieerschöpfung mit Verlust der Telemetrie und/oder der Herzstimulationstherapie sogar ohne Vorwarnung führen. Das Unternehmen empfahl den Ärzten daher u.a. den Austausch der Schrittmacher ihrer Patienten zu erwägen. Obgleich für die Schrittmacher auf Grund der bisher verstrichenen Zeit kein Garantieanspruch mehr bestand, verpflichtete sich das Unternehmen, den schrittmacherabhängigen Patienten und solchen, bei denen die Ärzte einen Austausch befürworteten, kostenlose Ersatzgeräte zur Verfügung zu stellen.

Bei zwei Versicherungsnehmern der AOK Sachsen-Anhalt wurden dann diese Herzschrittmacher ausgetauscht, obgleich nur ein Fehlerverdacht bestanden hatte. Die explantierten Herzschrittmacher wurden vernichtet, ohne das deren Fehlerhaftigkeit tatsächlich überprüft worden war. Die AOK Sachsen-Anhalt und in einem ähnlichen Fall die Betriebskrankenkasse RWE verklagten in der weiteren Folge diesen Hersteller auf Erstattung der Kosten, die den versicherten Patienten im Zusammenhang mit den Eingriffen entstanden waren.  

Der zur Entscheidung berufene Bundesgerichtshof hatte diese Verfahren ausgesetzt und wollte von Seiten des Europäischen Gerichtshofes geklärt wissen, ob die ausgetauschten Geräte im vorliegenden Fall als fehlerhaft eingestuft werden können, obwohl speziell bei diesen Geräten keine Fehler festgestellt worden waren, aber vom Hersteller bei Geräten desselben Modells durchgeführte Qualitätskontrollen einen potenziellen Fehler offenbart hatten. Weiter hatte der Bundesgerichtshof gefragt, ob es sich bei den Kosten für den Austausch dieser Produkte um einen Schaden handelt, den der Hersteller nach der EU-Richtlinie über fehlerhafte Produkte zu erstatten hat.

Der EuGH bejahte mit Urteil vom 05.03.2015 diese Vorlagefragen und hat damit die Produkthaftung erheblich ausgedehnt. Zur Begründung hat der EuGH ausgeführt, dass ein Produkt bereits fehlerhaft sei, wenn es nicht die Sicherheit biete, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Darbietung dieses Produktes, seines Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und des Zeitpunktes, zu dem es in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt sei. Bei Herzschrittmachern und implantierbaren cardioverten Defribrillatoren seien die Anforderungen an ihre Sicherheit, die den Patienten zu erwarten berechtigt seien, in Anbetracht ihrer Funktion und der Situation besonderer Verletzlichkeit der diese Geräte nutzenden Patienten besonders hoch.

Im Ergebnis genügt es zur Annahme der Haftung nunmehr, wenn ein nur potentieller Fehler bei anderen Produkten derselben Produktgruppe oder Produktionsserie festgestellt wird. Es kommt nicht mehr darauf an, dass bei dem konkreten Produkt auch ein Fehler nachgewiesen wird.  Der zuzusprechende Schadensersatz umfasst dann alles das was erforderlich ist, um die Schadensfolgen zu beseitigen und das Sicherheitsniveau wieder herzustellen. Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob sich diese mit Medizinprodukten beschäftigende Entscheidung des EuGH auch auf andere Bereiche ausgeweitet wird.

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